
SPD-Politiker um Mützenich gehen auf Distanz zu Außenpolitik der Koalition

Prominente Stimmen in der SPD gehen auf Distanz zur Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung. In einem am Mittwoch veröffentlichten Grundsatzpapier kritisieren aktive und frühere SPD-Politikerinnen und Politiker eine "militärische Alarmrhetorik" und fordern Gespräche mit Russland sowie einen Stopp der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Zu den Unterzeichnern zählen Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich und der Abgeordnete Ralf Stegner. Die SPD-Fraktionsführung ging auf Distanz zu dem Papier. Die Grünen kritisierten es scharf, von der AfD kam Lob.
Der Vorstoß könnte auch für Unruhe in der Koalition aus Union und SPD sorgen, zielt er doch direkt auf eines ihrer Kernvorhaben ab: die massive Erhöhung der Wehrausgaben zur Erhöhung der militärischen Verteidigungsfähigkeit. Die Unterzeichner des als "Manifest" titulierten Papiers der SPD-Friedenskreise vertreten eine grundsätzlich von diesem Kurs abweichende Linie.
In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten hätten sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft "vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen", heißt es in dem "Manifest". "Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen Nato und Russland."
Die SPD-Politiker fordern mehrere konkrete Maßnahmen, darunter Gespräche mit Russland: Nötig sei jetzt eine "schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland".
Kritik üben die Verfasser zudem an der geplanten massiven Aufstockung der Verteidigungsausgaben. Für das Nato-Ziel, die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsstaaten auf fünf Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung zu erhöhen, gebe es "keine sicherheitspolitische Begründung".
Hinsichtlich der möglichen Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland erklären sie: "Die Stationierung von weitreichenden, hyperschnellen US-Raketen-Systemen in Deutschland würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen."
In der SPD-Bundestagsfraktion löste der Vorstoß Verärgerung aus. Der außenpolitische Sprecher Adis Ahmetovic sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP in Berlin von einem "inhaltlich in weiten Teilen fragwürdigen Papier". Es würde "im Falle einer Einbringung auf dem Bundesparteitag auch keine Mehrheit finden".
Der Innenexperte Sebastian Fiedler zeigte sich in den Sendern RTL und ntv "irritiert, verstört und verärgert". SPD-Fraktionschef Matthias Miersch distanzierte sich von dem Papier: Es handle sich um einen "Debattenbeitrag", sagte Miersch den RND-Zeitungen. "Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile."
Die Bundesregierung wollte das SPD-Papier nicht direkt kommentieren. Vizeregierungssprecher Steffen Meyer betonte aber die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung, wonach es darum gehe, "unsere Verteidigungsfähigkeit und unsere Abschreckungsfähigkeit deutlich zu stärken". Dabei nehme er die Bundesregierung "als sehr, sehr geschlossen wahr".
SPD-Außenpolitiker Stegner, der das "Manifest" mitinitiiert hatte, sprach von einem "Beitrag zur Debatte". Es werde zu viel darüber geredet, "immer mehr in Rüstung zu stecken", sagte Stegner im Deutschlandfunk. Dabei gehe es um "Wahnsinnssummen" von bis zu fünf Prozent des Bruttosozialprodukts. "Wir können nicht zugucken, dass es immer mehr Kriege gibt."
Die Grünen kritisierten, dass ein solcher Kurs der Beschwichtigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin eben nicht zum Frieden führen würde. Der Aufruf sei "leider Wunschdenken, denn ein solcher Kurs führt leider gerade nicht dazu, dass ein skrupelloser Imperialist die Gewalt beendet", sagte Vize-Fraktionschefin Agnieszka Brugger zu AFP. Hinter dem Forderungskatalog stünden "vor allem die üblichen Verdächtigen", die "bei der Postenvergabe in der SPD leer ausgegangen" seien.
Beifall fand das "Manifest" bei der AfD. "Wenn nun selbst prominente SPD-Politiker eine Kurskorrektur fordern, dann ist das ein spätes, aber wichtiges Signal", sagte der außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Markus Frohnmaier, zu AFP. Mit der Forderung nach einem Dialog mit Russland bewegten sich Teile der SPD nun "auf den außenpolitischen Kurs der AfD zu".
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sprach von einer "dringend notwendigen Initiative". Sie forderte, dass nun alle Kräfte gegen den "Kriegskurs von Merz und Klingbeil" in Deutschland zusammenarbeiten sollten.
Q.Szulc--GL