
Missbrauchsskandal: Linkspopulisten fordern Bayrous Rücktritt

Nach einer fünfeinhalb Stunden langen Anhörung des französischen Premierministers François Bayrou zu einem Missbrauchsskandal an einer katholischen Schule hat die linkspopulistische Opposition seinen Rücktritt gefordert. "Bayrou hat unter Eid anerkannt, dass seine früheren Aussagen vor Abgeordneten und Opfern unehrlich waren", sagte der linkspopulistische Abgeordnete Paul Vannier, Ko-Vorsitzender der Untersuchungskommission, am Donnerstag dem Sender France Info.
"Kann man einen Premierminister akzeptieren, der vor Abgeordneten lügt? (...) Für uns lautet die Antwort: Nein", schrieb der Chef der linkspopulistichen Partei La France Insoumise (LFI) Manuel Bompard im Onlinedienst X. Die rechtspopulistische Opposition warf ihrerseits dem Untersuchungsausschuss vor, einen "stalinistischen Prozess" zu inszenieren.
Bayrou hatte am Vorabend erneut versichert, in seinen früheren politischen Ämtern nichts von sexueller Gewalt an der Schule gewusst zu haben. "Ich habe von Ohrfeigen gehört (...), aber niemals von schlimmer Gewalt und niemals von sexueller Gewalt", sagte er. Er habe lediglich gewusst, "was in den Medien berichtet wurde", fügte er hinzu.
Den Vorwurf, er habe 1998 einen Untersuchungsrichter aufgesucht, um sich über Ermittlungen gegen einen der Vergewaltigung angeklagten Priester zu informieren, konnte Bayrou nicht entkräften. "Ich erinnere mich nicht daran", sagte er dazu.
Der Premierminister steht unter Verdacht, in seinen früheren Funktionen als Abgeordneter der Region und als Bildungsminister in den 90er Jahren von den Gewalttaten an der Schule gewusst, aber nicht eingegriffen zu haben. Bayrou ist auch privat mit der Schule eng verbunden, die drei seiner sechs Kinder besuchten. Seine Frau gab an der Schule zeitweise Religionsunterricht.
Die Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss entwickelte sich zu einem politischen Duell zwischen dem zunehmend aggressiv reagierenden Premierminister und Vannier. "Man will mich nur in die Ecke drängen und zum Rücktritt bewegen", sagte Bayrou, der die Objektivität des Ausschusses anzweifelte.
Der Premierminister äußerte sich zudem abfällig über eine ehemalige Lehrerin der Schule, die unter Eid ausgesagt hatte, dass sie Bayrou 1995 über Gewalttaten an der Schule informiert hatte. "Sie fabuliert sich etwas zusammen", sagte Bayrou und ließ anklingen, dass sie psychische Probleme habe.
Während der Anhörung ging es auch um eine Ohrfeige, die Bayrou als Präsidentschaftkandidat einem Elfjährigen gegeben hatte, der ihn im Gedränge hatte bestehlen wollen. "Das war bloß ein väterlicher Klaps", sagte Bayrou. "Es war keine Gewalt, bloß eine erzieherische Geste", fügte er hinzu. Diese Formulierung löste heftige Kritik aus. "Bayrou zeigt, dass er von der Kultur der Gewalt durchdrungen ist", sagte der Ausschussvorsitzende.
Die Affäre war im vergangenen Jahr landesweit bekannt geworden, nachdem sich immer mehr Betroffene öffentlich äußerten. Seitdem sind mehr als 200 Klagen wegen körperlicher und sexueller Gewalt von Lehrern und Betreuern eingegangen. Die meisten von ihnen sind verjährt.
F.Glowacki--GL